Fünf gehäufte Esslöffel Gift pro Nase

Fünf gehäufte Esslöffel Gift pro Nase

Das wichtigste verbraucherpolitische Prinzip in Europa lautet: „Im Zweifel nein.“ Gibt es Hinweise, dass ein Stoff gesundheitsschädlich ist, dann darf er in der Europäischen Union nicht zugelassen werden. Im Falle des Unkrautvernichters Glyphosat liegen mehr als konkrete Hinweise auf dem Tisch, dass das Mittel Krebs erregt.
Was soll man zu einem Berufsstand sagen, der einen gut Teil seiner Zeit damit zubringt, die Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen zu bekämpfen, die Strukturvielfalt der Landschaft plattzuwalzen und die Belastung der Umwelt mit Giftstoffen zu erhöhen? Richtig: Die konventionelle Landwirtschaft hat die Berechtigung verspielt, sich über Naturschutzfragen zu äußern!
Daß die Bauern schon zu allen Zeiten das maximal mögliche an Ertrag aus ihren Flächen herausholen, ist ja nichts Neues, das war schon immer so. Neu – betrachtet man die letzten Jahrzehnte – ist lediglich, dass sich die Methoden stark verändert und heute fast ausschließlich rabiate chemische Methoden zum Einsatz kommen. Während früher die ausbeuterische Landwirtschaft zu höherem Artenreichtum führte – Stichworte sind z.B. extensive Hütehaltung, Niederwaldwirtschaft, Dreifelderwirtschaft – ist es heute umgekehrt: Die Landschaft wird den Großmaschinen angepasst, die Nutzpflanzen-Konkurrenz mit Gift niedergehalten. Und alles was sich nicht mit Großmaschinen und Gift bewirtschaften lässt – Bachtäler, Steilhänge ind steinige magere Böden –  wurde aufgegeben und wird in kurzer Zeit vom Wald zurückerobert.
Das Ergebnis ist der schon in den 60er Jahren von der Biologin Rachel Carson prognostizierte „Stumme Frühling“: Im Kreis Mettmann keine erfolgreiche Kiebitzbrut mehr, Schafstelze sehr selten, Feldlerche fast ausgerottet, Feldsperling verschwunden. Von den Schmetterlingen und anderen Insekten erst gar nicht zu reden, deren Zahl und Biomasse nimmt seit vielen Jahrzehnten dramatisch ab: Experten schätzen die Zahl der Schmetterlinge auf heute unter 1 Prozent, verglichen mit der Zeit vor etwa 100 Jahren.
Aktuell ist zum Beispiel ein dramatischer Aufruf der Österreichischen Schmetterlingsexperten unter dem Titel „Ausgeflattert: Der stille Tod der österreichischen Schmetterlinge„. Ein Zitat aus der Einleitung der Studie: „Der massive Einsatz von unspezifisch wirksamen Insektiziden und Pflanzenschutz-Mitteln ist ein wichtiges Gefährdungspotenzial für Schmetterlinge. Durch Verdriftung sind auch Bereiche abseits der intensiv genutzten Agrikulturflächen und selbst Schutzgebiete bedroht. Einschränkungen des Pestizideinsatzes im Nahbereich zu naturnahen Ökosystemen oder extensiv bewirtschafteten Agrarökosystemen sowie generell ein möglichst minimierter, sorgsamer Umgang mit Pestiziden bzw. der Verzicht auf chemisch-synthetische Wirkstoffe sind ein Gebot der Stunde.
Nachdem das Aussterben der Tiere des Offenlandes jahrelang eigentlich keinen ausser ein paar Umweltspinnern interessiert hat, ist in den letzten Monaten erstaunliches passiert: Glyphosat, der meist verwendete Unkrautvernichter überhaupt, geriet zuerst in die Muttermilch, dann ins Bier und danach in die Schlagzeilen. Und als die Aufregung richtig groß wurde entdeckte die SPD das Thema. Lässt sich doch damit herrlich der bräsige Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt von der CSU vorführen, und eine Sollbruchstelle in der Großen Koalition holt die Wähler vielleicht aus der Apathie. Die weitere Zulassung für das Supergift Glyphosat – in Deutschland werden 6.000 Tonnen ausgebracht, wurde zum As im Pokerspiel zwischen den Parteien, Agrarkonzernen und der Europäischen Kommision. Die EU-Kommission hat die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung am 6. Juni nach meheren Probeabstimmungen zur Abstimmung gestellt. Das Ergebnis: Keine Mehrheit für Glyphosat. Deutschland enthielt sich der Stimme. Eine herbe Niederlage für die EU-Kommission und die Glyphosat-Hersteller. Wie die Geschichte am Ende ausgeht ist allerdings noch offen: Die Entscheidung liegt jetzt im Berufungsausschuss, wenn der sich ebenfalls nicht einigt, muss die EU-Kommission im Alleingang entscheiden.
Tief enttäuscht zeigte sich der europäische Branchenverband ECPA, der große Agrochemie-Konzerne vertritt: Wenn es nicht gelinge, Glyphosat weiter zuzulassen, „hätte das erhebliche negative Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft, die Umwelt und die Fähigkeit der Bauern, sichere und erschwingliche Lebensmittel herzustellen„, warnte der Verband. Den Passus mit der Umwelt glauben diese Unbelehrbaren von der Giftindustrie nicht einmal selbst. Die Lebensmittelpreise sind in Deutschland so tief wie nirgendwo anders in Europa. Und daß Konzerne wie Monsanto Rücksicht auf die Gesundheit und Sicherheit der Menschen nehmen, das glaubt überhaupt niemand! Nicht umsonst hat der Konzern wegen rabiater Methoden seit Jahrzehnten den Spitznamen „Monsatan“.
Eine kleine Rechnung: 6000 Tonnen = 6000.000.000 Gramm geteilt durch 80.000.000 Einwohner in Deutschland = 75 Gramm Glyphosat, die jedes Jahr pro Einwohner auf die Fläche der Bundesrepublik ausgebracht werden. Das sind nach der alten Küchenregel fünf gehäufte Esslöffel Unkrautvernichtungsmittel, für jedes Kleinkind, jede Oma, und auch für jeden Konzernvorstand in Deutschland. Wer sich ein wenig mit den Wirkungen solcher Stoffklassen beschäftigt, der weiß, daß alle Substanzen, die in den Grundstoffwechsel eingreifen, nicht wirklich gesund sein können. In sofern ist es ein Wunder, dass es so lange dauert bis bei Stoffen, die in Massen ausgebracht werden, auch massive gesundheitliche Schäden beim Menschen nachgewiesen werden können. Eine Diskussion die übrigens bei unseren nächsten Nachbarn schon ganz anders entschieden wurde: In Frankreich sind Krankheiten wie Parkinson und Leukämie (Non-Hodgkin-Lymphom) längst als Berufskrankheiten bei Landwirten anerkannt.
Aktuell liegt der Ball, was die Zulassung von Glyphosat angeht, im Vermittlungsausschuss der EU-Kommission. Ob dieser sich über das negative Votum der EU-Staaten hinwegsetzt, ist fraglich, die Herren wollen ja auch wiedergewählt werden.
Was kann jeder einzelne tun? Hier mal nach meiner Ansicht drei wichtigsten Punkte:

  • Kauft anständig ein, bei Lebensmitteln aus Industrieproduktion ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste.
  • Sprecht mit euren Landwirten, die müssen endlich mit der Giftwirtschaft aufhören, es gibt gute Alternativen!
  • Nehmt Einfluss auf Eure Volksvertreter, auch Lokalpolitiker aller Partein sind lernfähig!

Links: Monsatan bei Twitter
Kampagne: Glyphosat muss vom Tisch!